Batterien in Elektroautos Teil 4: Refurbishment statt Tausch gegen Neuteil

Ersatz defekter Batterien in E-Autos durch Neue ist ruinös. Der Tausch gegen gebrauchte Zellen ist sinnvoll, noch aber stehen diese Entwicklung erst am Anfang.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 90 Kommentare lesen
Renault Zoe

Der - oder die - Renault Zoe kam 2013 auf die Straßen. Der elektrische Kleinwagen ist beliebt. Inzwischen sind einige Exemplare aus der Garantiezeit heraus, und die Traktionsbatterien altern. Bisher gab es für geschwächte oder defekte Module im System keine andere Lösung als den Tausch gegen ein teures Neuteil. Bald könnte es als Alternative das Refurbishment geben.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in English)

Über viele Jahrzehnte stand bei der Weiterentwicklung des Antriebsstrangs in Autos der Motor im Fokus. Mit der Umstellung auf den batterieelektrischen Antrieb verschiebt sich das, denn nun steht die Batteriezelle im Mittelpunkt des Interesses. Global werden aktuell riesige Summen investiert, um hier Fortschritte zu erreichen. Energiedichte, Haltbarkeit, Ladeleistung und vor allem die Kosten sind es, die optimiert werden müssen, wenn der batterieelektrische Antrieb überall auf der Welt eine Chance haben soll.

In einer Artikelserie wollen wir zeigen, wo wir heute stehen und wohin die Entwicklung geht. Den politischen Rahmen hat die Europäische Union gesetzt: Ab 1. Januar 2035 dürfen ausschließlich Pkw neu zugelassen werden, die keine direkten CO₂-Emissionen haben. Nach heutiger Einschätzung werden das weitestgehend batterieelektrische Autos sein. Weil die Industrie nicht einfach ein- und ausgeschaltet werden kann, wird es in den knapp zwölf Jahren bis zum Stichtag einen kontinuierlichen Hochlauf geben.

Die Traktionsbatterie im Elektroauto ist ein Verschleißteil: Sie altert zyklisch, also mit jedem Ladevorgang, und kalendarisch. Die Autoindustrie garantiert darum im Regelfall nach acht Jahren und 160.000 Kilometern nur 70 Prozent des ursprünglichen Energieinhalts. Acht Jahre sind aber weniger als das Durchschnittsalter des heutigen Bestands-Pkw, das bei rund zehn Jahren liegt. Wie gut Elektroautos langfristig sind, wissen wir noch nicht: Die millionenfache Erfahrung mit Verbrennungsmotoren – inklusive durchgebrannter Zylinderkopfdichtungen, rutschenden Kupplungen oder verkokten AGR-Ventile – ist mit Elektroautos noch nicht vorhanden.

Plausibel ist, dass einige gut gepflegte Exemplare sehr viele Jahre halten werden. Bei anderen wird die Alterung der Traktionsbatterie zu inakzeptabel geringer Reichweite und Leistungsverlust führen. Für diesen Fall gibt es eine klügere Lösung als den Austausch durch ein Neuteil: Das Refurbishment, also die Wiederaufbereitung gebrauchter Batterien mit gebrauchten Modulen. Wie kann das funktionieren?

Batteriesysteme sind bei den meisten heutigen Elektroautos aus Modulen aufgebaut, in denen wiederum mehrere Zellen zusammengefasst sind. Zum Beispiel zehn Module a zwölf Zellen. Wenn eine oder mehrere Zellen defekt sind, ist der derzeit übliche Weg der Ersatz durch ein neues Modul. Das ist teuer, für die Produktion müssen neue Ressourcen gefördert werden, und eine zusätzliche CO₂-Last fällt an.

Wenige defekte Zellen genügen, um das Batteriesystem stark zu schwächen. Die Reichweite und die Leistung sinken rapide. Das Ziel des Startups Heimdalytics ist die exakte Identifikation und der gezielte Austausch durch ein gebrauchtes Modul.

(Bild: Duesenfeld)

Das Start-up Heimdalytics hat einen anderen Ansatz. Wenn ein Elektroauto aus der Garantiezeit heraus ist und vielleicht neun, elf oder noch mehr Jahre unterwegs ist, kann der Austausch eines oder mehrerer Module durch ein neues betriebswirtschaftlich sinnlos oder ruinös sein. Sinnlos, weil alle Teile am Fahrzeug vom Fensterheber bis zum Karosseriefalz gleichfalls gealtert sind. Und ruinös, weil die Kosten zu hoch sind. Es droht ein wirtschaftlicher Totalschaden.

Batterien für Elektroautos

Heimdalytics setzt dem das Refurbishment entgegen: "Das Ziel ist es, ein kaputtes Modul zu identifizieren und nicht durch ein fabrikneues, sondern durch ein kongruentes Gebrauchtmodul zu ersetzen", sagt Prof. Christoph Weber, der das Start-up als Ausgründung der Fachhochschule Kiel initiiert hat. Was Weber mit Kongruenz meint, muss erklärt werden: Kommt ein Elektroauto mit einer auffälligen Traktionsbatterie – zum Beispiel mit deutlich gesunkener Reichweite, zu wenig Leistung oder einer leuchtenden Warnlampe – zu Heimdalytics, wird das betroffene Modul ausgebaut.

Ein Gebrauchtmodul – zum Beispiel aus einem Unfallwagen – sollte kongruent zum System sein. Damit meint Heimdalytics, dass ein zum Beispiel auf 78 Prozent gealtertes Batteriesystem ein ebenfalls auf diesen Wert gealtertes Gebrauchtmodul erhält. Das eigentliche Know-How von Heimdalytics liegt in der Diagnose des defekten Moduls durch die Erstellung eines sogenannten Klangbilds durch Impedanzmessung.

(Bild: Heimdalytics)

Kern der Methode von Heimdalytics ist die anschließende Messung des Impedanzsprektrums auf einem selbst entwickelten Gerät sowie eine kurze Referenzmessung anhand von Belastungstests an dem Modul: Bei der Messung des Innenwiderstands können Anomalien auftreten. Professor Weber spricht hier vom Klangbild, und Misstöne zeigen an, welche konkrete Zelle im Modul defekt ist und in welchem Gesundheitszustand sich die intakten Zellen des Moduls befinden. Der SOH-Score (SOH für State Of Health) der intakten Zellen gibt Aufschluss, welches Gebrauchtmodul sich als kongruente Lösung für die Reparatur eignet.

Wenn das Gesamtsystem auf zum Beispiel 74 Prozent gealtert ist, sollte ein defektes Modul durch ein anderes mit einem ähnlichen SOH-Score ersetzt werden. Das nennt Christoph Weber Kongruenz. Die Frage ist nun, wo solche Module herkommen. Die Antwort sind Spenderfahrzeuge aus dem Bestand. Unfallwagen zum Beispiel. Ein Renault Zoe mit zwölf Modulen könnte also bei bis zu zwölf gealterten Elektroautos fürs weitere Fortkommen sorgen.

Noch besser in dieser Hinsicht sind Batteriesysteme, bei denen jede einzelne Zelle getauscht werden kann. So könnte ein Bestandsfahrzeug mit hunderten Zellen entsprechend gezielt vielen anderen Altfahrzeugen als Spender dienen. Das Gegenteil einer solchen Reparaturfreundlichkeit sind Batteriesysteme, die bei denen die Zellen so verschäumt oder verklebt sind, dass nur der Kompletttausch möglich ist.

Heimdalytics arbeitet mit dem Renault Batteriezentrum Lüdemann bei Hamburg zusammen. Dort war man bisher auf die Reparatur von Garantiefällen spezialisiert. Das Refurbishment könnte ein wichtiges zukünftiges Geschäftsfeld für Werkstattbetriebe werden.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Heimdalytics ist im Gespräch mit der Autoindustrie, wo die Relevanz des Refurbishments erkannt wird. Außerdem arbeitet das Start-up mit Renault Lüdemann in Norderstedt bei Hamburg zusammen, einem von drei Batteriezentren des französischen Herstellers in Deutschland. Bei Lüdemann ist man begeistert von der Elektromobilität an sich und sieht im Refurbishment ein zukünftiges Geschäftsfeld.

Branchenkreise berichten, dass durch den geringeren Wartungsaufwand von Elektroautos die Umsätze der Werkstattbetriebe um bis zu zwei Drittel einbrechen. Außerdem ist der Neuwagenverkauf kaum oder nicht mehr lukrativ. Die Autohersteller versuchen zurzeit, den Händlern durch Agenturmodelle den letzten Rest Unabhängigkeit zu nehmen. Eine Spezialisierung auf das Werkstattgeschäft mit Elektroautos und dem Refurbishment von Traktionsbatterien bietet dagegen die Chance auf ein langfristiges Überleben. Das größte Interesse an einer preisgünstig reparierbaren Traktionsbatterie aber haben die durchschnittlichen Autobesitzer. Das Gros von ihnen fährt keine Neuwagen im typischen Leasingzeitraum, sondern Gebrauchtwagen.

(mfz)