Fahrbericht Kawasaki Z 650 RS: Leicht nostalgisch

Auch wenn ihr Vorbild von 1976 einen Reihenvierzylinder hatte: Der Z 650 RS genügt ein Zweizylinder für ausgeprägte Fahrfreude, denn er muss nur 187 kg bewegen.

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(Bild: Ingo Gach)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Wenn wir einen Designer-Preis zu vergeben hätten, würde die neue Kawasaki Z 650 RS beste Chancen auf den Sieg haben. Das Retrobike nimmt die Formensprache der Z 900 aus den 1970er Jahren auf und erfreut durch Leichtigkeit nicht nur im Gewicht, sondern auch im Fahrverhalten.

Meine erste Reaktion, als ich ein Foto von der Z 650 RS sah: "Was für ein schönes Retro-Bike!" Dieses schimmernde Grünmetallic mit zwei zarten Zierstreifen in giftgrün und gold auf dem Tropfentank ist ein Gedicht, dazu gesellen sich gold lackierte Felgen mit filigranen Speichen. Und dann noch der in Chrom gefasste Rundscheinwerfer und die beiden runden Uhren im Cockpit. Meine zweite Reaktion: "Nur eine 650er!" Ein Retro-Motorrad, das sich am Design der legendären 900 Z1 von 1972 orientiert, muss doch einen Reihenvierzylinder haben! Die Z 650 RS bietet aber nur zwei Zylinder und nur 68 PS.

Das "nur" hatte sich mir ins Gedächtnis gebrannt, als ich das Testmotorrad übernehme. Doch mit jedem Kilometer, den ich auf der Z 650 RS zurücklege, belehrt sie mich eines besseren, sodass ich mein Vorurteil komplett revidieren muss: Sie ist eine mehr als würdige Vertreterin der Modern-Classic-Baureihe von Kawasaki. Die 650er erweist sich als überragend handlich und durchaus flott unterwegs, denn sie bringt nur 187 kg auf die Waage. Kurze Rückblende: Ihre Vorfahrin Z 650 von 1976 – die kleine Schwester der legendären Z 900 – holte mit einem luftgekühlten Reihenvierzylinder aus 652 cm3 Hubraum bereits 66 PS, wog aber satte 220 kg.

Kawasaki Z 650 RS Teil 1 (7 Bilder)

Kawasaki schickt mit der Z 650 RS ein schickes Retro-Bike ins Rennen. Sie lehnt sich im Design an ihre Vorfahrin Z 650 von 1976 an.
(Bild: Ingo Gach)

Die Leistung ihrer leichten Urenkelin reicht heute immer noch völlig aus, um viel Spaß zu haben. Die Z 650 RS wuselt spielerisch durch den Stadtverkehr, biegt fast wie von selbst ab und zieht locker an den Blechkolonnen vorbei. Ihre Sitzhöhe von 820 mm auf der vorne eher schmal gehaltenen Bank verhilft zu sicherem Bodenkontakt. Die Bedienkräfte für die Kupplung mit Anti-Hopping-Funktion sind so minimal, dass ich sie mit nur einem Finger ziehen kann und das Getriebe schaltet sich leicht und exakt. So macht die Kawasaki dem Fahrer das Leben herrlich einfach.

Außerdem ersetzt einem die Z 650 RS die Kontaktbörse: An der roten Ampel, Tankstelle, Eisdiele und regelmäßig beim Parken in der Stadt werde ich auf den vermeintlichen Oldtimer angesprochen. Irgendwann gebe ich es auf, zu erklären, dass die Kawasaki nagelneu ist und nicht aus den 70er Jahren stammt. Es beweist, dass die Designer einen wirklich guten Job gemacht haben. Dabei steckt unter dem nostalgischen Anstrich die zehntausendfach bewährte, aber modern-aggressiv gestylte Z 650, in Deutschland seit Jahren eines der meistverkauften Motorräder.

Über den Antrieb und die Ausgereiftheit des Motors muss sich der Z 650 RS-Besitzer also keine Sorgen machen. Dabei ist der wassergekühlte 649-cm3-Reihenzweizylinder ein Gegenläufer mit 180 Grad Hubzapfenversatz, entzieht sich also dem Konzept des 270-Grad-Versatzes, wie es die meisten Zweizylinder-Konkurrenten heute bieten. Aber der Motor ist nicht nur drehfreudig, sondern zieht auch tapfer durch und erreicht 64 Nm Drehmoment bei 6700/min. Allerdings mag er im höchsten Gang nicht unter 3000 Touren fallen, dann hackt er unwillig auf der Kette herum und mahnt zum Runterschalten. Eine Ausgleichswelle besitzt der Motor nicht, dennoch halten sich Vibrationen in Grenzen und werden nie unangenehm. Nur beim Kaltstart dreht der Antrieb deutlich über 2000/min im Leerlauf, da sollte Kawasaki das Motor-Mapping nachbessern.

Das Cockpit ist dem historischen Vorbild von 1976 nachempfunden mit zwei runden Analog-Instrumenten, links der Tacho, rechts der Drehzahlmesser. Dazwischen liegt heute allerdings eine digitale Anzeige. Sie informiert auf einen Blick über den eingelegten Gang, den Benzinstand, die Kühlwassertemperatur und die Uhrzeit. Ganz unten können noch verschiedene Infos per Knopfdruck am linken Lenkerende abgerufen werden: zwei Tageskilometerzähler, Gesamtkilometerstand, Reichweite, aktueller Verbrauch und Durchschnittsverbrauch. Im Gegensatz zur Vorfahrin sind die Rundinstrumente von verchromten Ringen – leider aus Kunststoff und nicht aus Metall – eingefasst und die können ganz schön blenden, wenn der Fahrer die Sonne im Rücken hat. Ein weiterer Chromring (ja, auch aus Kunststoff) umfasst den Rundscheinwerfer, der ebenso LED-bestückt ist wie die Blinker und das ovale Rücklicht, das keck unter der Heckabdeckung hervorlugt.

Trug die Kawasaki Z 650 im Jahr 1976 noch stolz je einen langen Endschalldämpfer pro Seite, schaut heute nur noch verschämt rechts ein kurzer Stummel vor dem Hinterrad hervor. Wahrscheinlich ist die Euro-5-Norm mit einem großen Vorschalldämpfer unter dem Motorblock einfacher zu erfüllen. Wenigstens bieten die beiden geschwungenen Krümmer einen originellen Anblick. Im unteren Drehzahlbereich ist die Klangkulisse des Zweizylinders sehr zurückhaltend, beim Aufreißen des Gasgriffs beginnt das Bike aus dem Luftfilterkasten zu röhren.

Kawasaki Z 650 RS Teil 2 (8 Bilder)

Die Farbgebung "CandyEmeraldGreen" mit den zwei hauchzarten Zierstreifen in gold und giftgrün auf dem Tropfentank machen die Z 650 RS endgültig zum Hingucker.
(Bild: Ingo Gach)

À propos Rahmen: Der besteht aus runden Stahlrohren und wiegt nur 13,5 kg. Er stammt ebenso von der Z 650 wie die auf der rechten Seite bananenförmige Schwinge, die so dem Auspuff nicht ins Gehege kommt. Auch die 41-mm-Telegabel und das Federbein sind eine 1:1-Übernahme aus der Z 650 und geben der Z 650 RS vorn 125 mm und hinten 130 mm Federweg. Einstellbar ist am Fahrwerk lediglich die Vorspannung des Federbeins, dafür müssen aber erst aufwendig Sitzbank, Seitenabdeckungen, Tank und diverse andere Teile abgebaut werden. In der Abstimmung tendiert die Retro-Kawa eher zu soften Seite, was zum Stil passt. Löcher in der Straße werden noch gut geschluckt, allerdings ist die Dämpfung etwas schwach geraten und spätestens beim Zwei-Personen-Betrieb sollte die Z 650 RS in schnellen, welligen Kurven mit Vorsicht genossen werden, da fängt das Heck schon mal an zu pumpen.

Ansonsten bereitet die Z 650 RS auf Landstraßen sehr viel Vergnügen, dank ihrer ausgeprägten Agilität. Sie profitiert nicht nur von ihrem kurzen Radstand von 1405 mm, sondern auch von einer mit 66 Grad Lenkkopfwinkel steil stehenden Gabel. Kawasaki beging nicht den Fehler, einen breiten 180er-Hinterreifen aufzuziehen, sondern beließ es bei einem im Handling angenehmeren 160er. Zielgenau durcheilt die Mittelklasse-Maschine Kurven jeglicher Art und verblüfft Fahrer manch deutlich stärkerer Maschinen und erreicht 191 km/h Höchstgeschwindigkeit.

Die beiden vorderen Nissin-Bremszangen an den 300-mm-Bremsscheiben verrichten einen guten Job, sie beißen fest, aber nicht übertrieben brutal zu, und stoppen das Leichtgewicht jederzeit souverän. Die hintere Bremse verzögert auffallend gut, beim Ausrollen vor der roten Ampel muss ich die Vorderradbremse gar nicht mehr betätigen, ein Tritt auf den Fußbremshebel reicht aus. Das Bosch-9.1M-ABS arbeitet bei einer provozierten Vollbremsung feinfühlig. Ansonsten verzichtet die Retro-Kawasaki auf jegliche elektronischen Assistenzsysteme wie Fahrmodi oder Schlupfregelung. Das ist in Anbetracht der gebotenen Höchstleitung auch nicht notwendig und spart Kosten.

So schön die Ausritte auf der Z 650 RS auch sind, Kawasaki sollte dringend die Sitzbank straffer polstern. Das zu weiche Teil sitzt sich nach einer Weile durch und malträtiert dann den Allerwertesten. Dabei hat sich die Marke viel Mühe mit dem rutschfesten Bezug und dem Halteriemen gegeben. Für Großgewachsene ist der Kniewinkel wegen des relativ knappen Abstands zwischen Sitz und Fußrasten auf Dauer zu eng, wohingegen die Sozia keinen Grund zum Meckern findet. Eine Kuriosität ergibt die Suche nach dem Sitzbankschloss, das sich schließlich unter dem Heckkotflügel findet. Genau dort, wo sich als erstes Schmutz und Schlamm sammeln, nur leidlich von einem Gummistopfen vor eindringendem Wasser geschützt. Auch wenn der Tank größer wirkt, fasst er nur zwölf Liter. Doch dank des genügsamen Verbrauchs von 4,4 Liter auf 100 km schafft die Z 650 RS eine theoretische Reichweite von 272 km. Lange Autobahnetappen sind naturgemäß nicht so das Ding der Retro-Kawa, dennoch ist dauerhaft Tempo 130 kein Problem.

Auch wenn mich die Farbgebung "Candy Emerald Green" absolut überzeugt, sind auch die beiden anderen Lackierungen "Metallic Spark Black" und "Metallic Moondust Grey/Ebony" durchaus eine Überlegung wert, allerdings können sie keine golden lackierten Felgen vorweisen. Kawasaki ruft für die Z 650 RS in schwarz 7995 Euro auf, für die anderen Lackierungen 8145 Euro. In allen Fällen kommen noch 600 Euro Nebenkosten hinzu, macht also für unser grünes Bike unterm Strich 8745 Euro. Zwar bietet Kawasaki eine ganze Reihe von Extras zur Verschönerung der Z 650 RS an, zwingend empfehlenswert ist davon aber nichts, bis vielleicht auf die um zwei Zentimeter aufgepolsterte Sitzbank, die möglicherweise mehr Komfort bietet.

Mit der Z 650 RS hat Kawasaki sein Programm um ein sehr interessantes Angebot erweitert. Alle, denen eine Z 900 RS für 12.745 Euro zu teuer erscheint, haben nun die Möglichkeit ein Retro-Bike zu erwerben, das zwar nicht den heftigen Schub einer 900er bietet, aber durch sein geringes Gewicht sehr viel Vergnügen bereitet und das Geld allein schon für ihren Anblick wert ist.

(fpi)